Father-Brown

 

Die Verfolgung von Mr. Blue

The Pursuit of Mr. Blue

Hilflos muss der Privatdetektiv Muggleton mit ansehen, wie sein Client, der Millionär Braham Bruce, ermordet wird. Verzweifelt bittet er Father Brown um Hilfe bei der Suche nach dem spurlos verschwundenen Mörder seines Auftraggebers ...

Seebäder sind ausgesuchte Tummelplätze nicht nur für Pierrots, die an die amourösen Emotionen appellieren, sondern auch für Prediger, die sich oftmals auf einen entsprechend düsteren und schwefligen Predigtstil zu spezialisieren scheinen. Es gab da einen alten Geiferer, den man kaum übersehen konnte, so durchdringend waren die Rufe, um nicht zu sagen Schreie religiöser Prophetie, die sich hoch über alle Banjos und Kastagnetten erhoben. Es war dies ein langer, formloser, schlurfender alter Mann, bekleidet mit etwas einem Fischerpullover Ähnlichem; dazu aber unpassend ausgestattet mit einem Paar jener sehr langen und schlaff herabhängenden Backenbärte, die seit dem Verschwinden gewisser sportiver mittviktorianischer Dandies nicht mehr gesehen wurden. Und wie es Sitte aller Schwindler am Strand war, irgend etwas vorzuführen, als wollten sie es verkaufen, führte auch der alte Mann ein reichlich verrottetes Fischernetz vor, das er im allgemeinen einladend über den Sand ausbreitete, als ob es ein Teppich für Königinnen sei, das er gelegentlich aber auch wild um seinen Kopf wirbelte mit einer fast ebenso schrecklichen Geste wie ein römischer Retiarius, bereit, Menschen auf seinen Dreizack zu spießen. Und er hätte Menschen wohl in der Tat aufspießen mögen, hätte er nur einen Dreizack gehabt. Seine Worte wiesen immer strikt zur Strafe; seine Hörer hörten nichts außer Bedrohungen des Leibes oder der Seele; er befand sich so sehr in der gleichen Stimmung wie Mr. Muggleton, daß er sehr wohl hätte ein wahnsinniger Henker sein können, der sich an einen Haufen Mörder wendete. Die Jungs nannten ihn Alter Schwefler; aber neben den rein theologischen hatte er noch andere Exzentrizitäten. Eine seiner Exzentrizitäten war es, in das Nest aus Eisenträgern unter der Pier hinaufzuklettern und von dort aus sein Netz durch das Wasser zu ziehen und zu erklären, er gewönne seinen Lebensunterhalt durchs Fischen; doch ist es zweifelhaft, ob ihn jemals jemand Fische fangen gesehen hat.

Hörprobe (6:15)
"Die Verfolgung von Mr. Blue"
aus der Reihe "Father Brown - Das Original"
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Downloadmöglichkeiten

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Anmerkungen des Übersetzers Hanswilhelm Haefs

 

"Muggleton"

Lodowicke Muggleton, by William Wood, circa 1674

Lodowicke Muggleton (1609-1698), englischer Sektierer, der 1651 sich selbst und seinen Vetter John Reeve als die beiden in der Offenbarung (XI, 3) genannten Zeugen proklamierte und seine Visionen niederzuschreiben begann (1652 The Transcendent Spirituall Treatise, 1656 The Divine Looking-Glass). Grundlehre: die Dreieinigkeit sei lediglich nominal, Gott habe einen wirklichen menschlichen Körper, und als er zur Erde hinabstieg, um am Kreuz zu sterben, habe er Elias als seinen Vizeregenten im Himmel zurückgelassen. Seine stets kleine Anhängerschaft, die "Muggletonians", dürfte um 1850 - soweit feststellbar - ausgestorben sein, nachdem 1846 Die göttliche Lupe zuletzt aufgelegt worden war.

Wikipedia-article: Lodowicke Muggleton

Wikipedia-Artikel: Muggletonianer

 

"römischer Retiarius"

Darstellung eines Kampfs zwischen einem retiarius (links) gegen einen secutor (rechts) (Mosaik aus Leptis Magna, ca. 80-100 v. Chr.)

von lat. "rete" = das Netz, also etwa: Netzkämpfer; die von den Etruskern übernommene Einrichtung der Gladiatoren (von lat. "gladius" = das Schwert, also etwa: Schwertkämpfer) gliedert sich nach ihren besonderen Waffen in Untergruppen; die Retiarier kämpften normalerweise ausschließlich mit einem Schleudernetz, in das sie ihre Gegner zu verwickeln trachteten, und trugen zum Selbstschutz nur einen Helm. In verkommeneren Zeiten führten sie später manchmal auch einen Dreizack oder ersetzten das Netz durch eine Art Lasso.

Wikipedia-Artikel: Retiarius

 

"sehr adrette ... Mr. Taylor"

A tailor attending to a customer in Hong Kong

Wieder ein hübsches Beispiel für Chestertons Lust an Sprachspielereien, auch bei der Namengebung: "tailor" = Schneider.

Wikipedia-article: Tailor

 

"Akrostichen"

Akrostichon Iesùs Christòs Theòu Yiòs Sotèr (Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser): I Ch Th Y S (Fisch)

griech., Akrostichon bezeichnet hintereinander zu lesende Anfangsbuchstaben, -silben oder -wörter aufeinanderfolgender Verse, Strophen, Abschnitte oder Kapitel, die ein Wort, einen Namen oder einen Satz ergeben. Die Bezeichnung A. wird auch für das Gedicht selbst verwendet. Seine Funktion war der Hinweis auf Autor oder Empfänger und Schutz gegen spätere Einschiebungen oder Auslassungen.

Wikipedia-Artikel: Akrostichon

 

"William Blake"

William Blake – Portrait von Thomas Phillips

Englischer Dichter, Maler und Kupferstecher (1757-827), der ein sehr eigenständiges und eigenartiges mystisches Weltbild entwarf, dichterisch beschrieb und illustrierte, wozu er eine selbstentwickelte Technik der handkolorierten Kupfer- oder Zinkätzung verwendete; seine mit hinreißender Sprachgewalt und mit großer Bilderkühnheit dargestellten Visionen und Gedanken wurden zunächst verkannt und missachtet und erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts von den Präraffaeliten erkannt, verstanden und aufgegriffen. Eine einigermaßen gerechte oder gar gültige Deutung seines gewaltigen Werks steht bis heute aus. In seiner Mystik war er stark von Swedenborg und Jakob Böhme beeinflusst.

Wikipedia-Artikel: William Blake

 

"Post hoc propter hoc?"

Der Einfluss der sinkenden Anzahl von Piraten auf die globale Erwärmung

lat., wörtlich "nach dem wegen dem". Klassisch knappe Zusammenfassung komplexer philosophischer Diskussionen, ob das Nacheinander zweier Vorgänge nur als eine im tieferen Sinn bedeutungslose temporale Aufeinanderfolge eher zufälliger Art oder aber als Ausdruck einer tiefen Notwendigkeit im Rahmen einer Kausalität aufzufassen sei.

Wikipedia-Artikel: cum hoc ergo propter hoc

 

"nisi me constringeret ecclesiæ auctoritas"

lat. = wenn mich nicht die Autorität der Kirche zurückhielte.

 

"Die Frau in Weiß"

Wilkie Collins (Portrait von John Everett Millais, 1850)

Einer der berühmtesten englischen Kriminalromane, von William Wilkie Collins (1824-1899); man streitet sich, ob seine spannenden und oftmals melodramatischen Erzählungen bereits Kriminalromane sind oder noch als deren Vorläufer zu gelten haben (The woman in white 1860).

Wikipedia-Artikel: Die Frau in Weiß

Wikipedia-Artikel: Wilkie Collins

 

"das Maulbeerbaumspiel"

here we go round the mulberry bush

Ein Kinderspiel, bei dem zu einer Art Ringelreigen ein Liedchen (= ditty) gesungen wird, das so beginnt: "Here We Go Round the Mulberry Bush" (= hier tanzen wir um den Maulbeerbaum), und in dem anschließend jedes Kind einen eigenen Vers singt, etwa der Art "... und putz' mir so die Zähne" oder "... und wasch' mir so die Hände" usw. Wie das Spiel zu seinem Namen gekommen ist, ist unbekannt. Zu vermuten ist ein letztes Echo eines nicht mehr erkennbaren Fruchtbarkeitsritus.

Here we go round the mulberry bush,
The mulberry bush,
The mulberry bush.
Here we go round the mulberry bush
On a cold and frosty morning.

Wikipedia-article: Here We Go Round the Mulberry Bush

 

"... und keiner tut je einem anderen weh. "Zärtlicher Liebhaber ... und er wird Blue sein." Und nachdem er dieses bemerkenswerte Zitat von Keats mit einigem Gefühl vorgetragen hatte ..."

G. K. Chesterton tat gut daran, Father Brown die Zeilen wenigstens mit einigem Gefühl vortragen zu lassen, da sich andernfalls Keats vermutlich im Grabe heulend aufgerichtet hätte. Selten hat Chesterton dermaßen große Freiheiten mit einem klassischen Text genommen. Hier zunächst die Passage in Chestertons Originalversion:

"... and never hurting each other. "Fond lover, never, never, wilt thou kiss - or kill." Happy, happy Mr. Red!
"He cannot change; though thou hast not thy bliss, For ever wilt thou jump; and he be Blue." Reciting this remarkable quotation from Keats, with some emotion,..."

Father Brown hat hier drei der vier letzten Verse aus der 2. Strophe der 41. Ode von Keats recht frei den Bedürfnissen jener Stunde an der Pier und seiner Geschichte angepasst.

Keats Strophe lautet:

Heard melodies are sweet, but those unheard
Are sweeter; therefore, ye soft pipes, play on;
Not to the sensual ear, but, more endear'd,
Pipe to the spirit ditties of no tone:
Fair youth, beneath the trees, thou canst not leave
Thy song, nor ever can those trees be bare;
Bold Lover, never, never canst thou kiss,
Though winning near the goal - yet, do not grieve;
She cannot fade, though thou hast not thy bliss,
For ever wilt thou love, and she be fair!

Etwa:

Gehörte Melodien sind süß, doch süßer noch sind die ungehörten;
darum, ihr süßen Flöten, spielt weiter;
Nicht für das sinnliche Ohr, sondern, noch gewinnender,
spielt für den Geist Liedchen, die tonlos sind:
Schöner Jüngling unter den Bäumen,
du kannst mit deinem Gesang nicht aufhören,
wie jene Bäume niemals kahl sein können;
Kühner Liebhaber, niemals, niemals kannst du küssen,
obwohl du fast den Preis gewannest - doch gräme dich nicht;
Sie kann nicht schwinden, und obwohl du dein Glück nicht hast,
Wirst du auf ewig lieben, und sie wird schön sein!

Der Titel dieser fünfstrophigen Ode lautet "Ode on a Grecian Urn" (Ode auf eine griechische Urne); der bewusst antikisierenden Sprache der Ode entspricht auch der Titel: Heute würde er lauten "Ode to a Greek Urn", da im Gebrauch der Präposition ein leichter Wandel eingetreten ist und da das Adjektiv "Grecian" bereits um die Jahrhundertwende in diesem Sinne nicht mehr gebräuchlich war; heute wird Grecian noch gebraucht etwa in Grecian architecture = (klassische) griechische Architektur, Grecian profile = klassisches Profil, Grecian gift = Danaergeschenk; auf sehr gehobener Stilebene für Grieche oder Griechin, aber auch für Hellenist und für Gräzist. Die "ditties" (= Liedchen) der 4. Zeile in der 2. Strophe verweisen auf die "ditties" beim Maulbeerbaumspiel (siehe Anmerkung zu "das Maulbeerbaumspiel").

John Keats, gemalt von William Hilton

John Keats (1795-1821) gilt als einer der bedeutendsten Lyriker der englischen Romantik; seine starke Sinnlichkeit führte ihn schon früh auf den Weg in die antike Mythenwelt, die er nachzuerleben und neuzugestalten wusste: in Verserzählungen (Endymion 1818, Hyperion 1819) und in einigen seiner bedeutendsten Oden wie "Ode on a Grecian Urn" (1820), die zugleich aber auch von einer geradezu fieberhaften Sinnlichkeit durchglüht sind. Lehrmeister von Keats wie den übrigen englischen Romantikern auf dem Weg zurück in die Antike war John Lemprière (1765?-1824) mit seinem Classical Dictionary of Proper Names mentioned in Ancient Authors (Klassisches Wörterbuch von Eigennamen, die bei antiken Autoren erwähnt werden).

Wikipedia-Artikel: John Keats

Die "Ode auf eine griechische Urne" (oder "... an ..."?) gilt als der bedeutendste Beweis für die Beeinflussung der englischen Romantik durch Lemprière: Colvin berichtet in seiner Keats-Biographie, dass der Lyriker das Wörterbuch auswendig gekannt habe; die Ode gilt als poetische Umsetzung des Wörterbuchartikels zum Stichwort HYACINTHIA:

HYACINTHIA, eine jährliche Feier zu Amyclae in Lakonien zu Ehren von Hyazinth und Apollo. Sie dauerte drei Tage, während welcher Zeit die Trauer des Volkes wegen des Todes von Hyazinth so groß war, dass sie während des Festes ihr Haar nicht mit Girlanden schmückten und kein Brot aßen, sondern nur Süßigkeiten. Sie sangen nicht einmal Päane zu Ehren Apollos oder beachteten irgendeine sonstige Feierlichkeit, die bei anderen Opferfeiern üblich waren. Am zweiten Tag gab es unterschiedliche Vorführungen. Jugendliche, die sich ihre Kleidung umgürteten, unterhielten die Zuschauer mit Spielen auf der Flöte oder auf der Harfe oder sangen mit lauten widerhallenden Stimmen anapästische Gesänge zu Ehren Apolls. Andere ritten auf reich aufgezäumten Pferden durchs Theater, und gleichzeitig kamen Chöre junger Männer auf die Bühne und sangen ihre unkeuschen ländlichen Lieder, und sie wurden begleitet von Personen, die zu Vokal- und Instrumentalmusik entsprechend den alten Bräuchen tanzten. Einige Jungfrauen wurden auf hölzernen Wagen vorgeführt, die oben bedeckt und herrlich geschmückt waren. Andere erschienen in Rennwagen. Danach begann die Stadt sich mit Freuden zu füllen und ungeheure Mengen von Menschen wurden auf den Altären Apolls geopfert, und die Opfernden unterhielten großzügig ihre Freunde und Sklaven. Während des letzten Teils der Festlichkeiten waren alle begierig, bei den Spielen anwesend zu sein, so dass die Stadt praktisch menschenleer zurückblieb.

HYACINTHUS, ein Sohn von Amyclas und Diomede, wurde von Apollo wie von Zephyr heiß geliebt. Er erwiderte die Liebe Apolls, und Zephyr, ob der Kälte und Gleichgültigkeit ihm gegenüber entflammt, beschloss, seinen Rivalen zu strafen. Als Apollo, dem die Erziehung des Hyazinth anvertraut war, einst mit seinem Schüler mit der Wurfscheibe spielte, blies Zephyr die Scheibe, sobald sie von Apoll geschleudert war, auf das Haupt des Hyazinth, so dass sie ihn tötete. Apollo war über den Tod des Hyazinth so untröstlich, dass er dessen Blut in eine Blume verwandelte, die seinen Namen trägt, und seinen Körper unter die Sterne versetzte. Die Spartaner richteten jährliche Feste zu Ehren des Neffen ihres Königs ein.

Heute leitet man den Namen aus dem indogermanischen *suogen-t-os = selbstgezeugt ab und sieht in ihm einen vorgriechischen Vegetationsgott. Er wurde vor allem in den dorischen Gebieten verehrt und war der Heros von Amyklai bei Sparta; dort wurde er ursprünglich bärtig dargestellt; auf attischen Vasen taucht er später als schöner Schwanenritter auf; die Eifersucht des Zephyr (= Westwind) scheint eine späte alexandrinische Zugabe zu sein. In dem ganzen Mythos scheint sich ein weiteres Stück der Unterjochung vorgriechischer Bevölkerungen mit ihren Kulten durch die neu einwandernden Griechen zu spiegeln, welche die alten Kulte als unterjochte Niedersysteme in ihr Pantheon aufnahmen (wie später das frühe Christentum oftmals heidnische Gestalten und Feste). Die klassische Darstellung lieferte Ovid in seinen Metamorphosen, Buch X, Vers 162-219. Dort wird auch geschildert, dass Apollo der Blume, die den Namen des Geliebten trug, sein "Wehe" (griechisch Ai Ai) auf die Blätter schrieb. Deshalb neigt man dazu, in dieser "Hyazinthe" eher eine Gladiole oder eine Irisoder Delphinium-Art zu sehen, da die Zeichnung auf deren Blütenblätter eher einem "Ai Ai" entspricht. Ob sich Chesterton selbst durch die Metamorphosen direkt oder durch Lemprières Wörterbuchartikel oder aber durch Keats' Ode (oder ursprünglich gar durch das Maulbeerbaumspiel) zu seiner Geschichte hat anregen lassen, Muss offenbleiben.

Wikipedia-article: Hyacinthia

 

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