Father-Brown

 

Chestertons stilistische Mittel

 

Um die spezifische Atmosphäre seiner Detektiv-Geschichten zu schaffen, bedient sich Chesterton durchgehend einiger bestimmter stilistischer Mittel:

1. Chesterton liebt parallel gebaute Satzglieder, was unweigerlich Verbund Wortwiederholungen bedingt: Das Schiff legt "zwischen dem silbernen Band des Morgens und dem grün glitzernden Band der See" an; "Oftmals billigte die katholische Kirche ... das nicht. Oftmals billigte er selbst das nicht" - wobei es Chesterton immer wieder gelingt, gerade durch die Wiederholungen und Parallelisierungen unterschiedliche Bedeutungsnuancen lebendig werden zu lassen, die meist im Kontext bereits angelegt waren, aber bis zu Chestertons Pointe unsichtbar blieben; er "konnte für Priester keine Zuneigung aufbringen. Aber er konnte Mitleid für sie aufbringen". Oder schließlich ist es unwahrscheinlich, "dass Sie in der Welt der Gesellschaft je so weit aufsteigen ... oder dass Sie je tief genug zwischen Slums und Verbrechern absinken ..."

2. Chesterton liebt Stabreime bis hin zur Verwendung seltenster und erlesenster Wörter oder einer sehr unüblichen Verwendung üblicher Wörter, nur um die stabreimende Kette verlängern zu können. Sie finden sich in solch augenfälliger Häufigkeit, dass darüber weiter nichts zu sagen wäre, gäbe es da nicht eine besondere Eigenart Chestertons: Gerade durch die Stabreime gelingt es ihm immer wieder, die unerwartetsten Wortkombinationen - vor allem Adjektiv + Hauptwort - zusammenzuketten und deren Wuchtigkeit doch zugleich ironisch-humorig aufzuhellen (schärfte G. K. Chesterton seinen Humor durch Ironie, oder milderte er seine Ironie durch Humor?). Ein Beispiel mag die Vielschichtigkeit dieses scheinbar so einfachen Spiels aus scheinbar naiver Wortverliebtheit deutlich machen. Als in einem besonders noblen Hotel ein italienischer Kellner von einem "Schlaganfall niedergeschlagen" wird, lässt der jüdische Arbeitgeber für ihn, sich milde über solchen Aberglauben wundernd, den nächsten "popish priest" herbeiholen, "popish" ist aus der Sicht des anglikanischen Englisch ein Schimpfwort für alles, was mit der seit Heinrich VIII. befehdeten Papstkirche zusammenhängt. Durch das einzige Wort "popish" wird hier mitgeteilt, dass der Priester ein katholischer Priester war und dass sich der Hotelier als assimilierter Jude alle anglikanischen Vorurteile zu eigen gemacht hatte. Übersetzt man (wie früher geschehen) das "popish" mit katholisch, so bricht man nicht nur den Stabreim, sondern unterschlägt auch alle Bedeutungsnuancen, die mit diesem anglikanischen Schimpfwort zusammenhängen. Daher habe ich den "popish priest" als "päpstischen Priester" stabgereimt und vielschichtig gelassen.

3. Chesterton liebt ungewöhnliche und, wie gesagt, unerwartete Wortkombinationen wie "demütige Unverschämtheit" oder "schwerfällige Klarheit", zu der wenige Zeilen später "silberne Klarheit" kontrastiert; oder er baut überraschende Vergleiche wie den, dass "unschuldigeres Priestergespräch in keinem weißen italienischen Kloster, in keiner schwarzen spanischen Kathedrale" hätte vernommen werden können, und beschwört mit dem Gegensatzpaar "weiß-schwarz" zugleich die Stimmungen heiterer italienischer beziehungsweise pomphaft düsterer spanischer Assoziationen herauf (die sich dem Engländer im Falle Spaniens noch besonders mit der vielgeschmähten und meist missverstandenen und verkannten Institution der spanischen Inquisition verbindet).

4. Chesterton liebt es besonders, mit eigenartig korrespondierend erscheinenden Zahlen zu spielen: Da ist ein Kellner bereit, auf 7 Bibeln zu schwören, dass die Rechnung nur 4 Schilling betragen habe, nun aber sehe er, dass sie auf 14 Schilling ausgestellt worden sei. Wo solche Zahlenspiele auftauchen, habe ich es vorgezogen, die Zahlen zur Verdeutlichung als Ziffern zu schreiben.

In welche Tiefen andererseits Chestertons naiv anmutende Freude daran, Wortgefüge und Wörter ernst zu nehmen und assoziativ weiterzuziehen, führen kann, mag das letzte Beispiel zeigen. Da hat der riesige Räuber Flambeau den Priester mit mächtiger Hand beim Kragen gepackt:

"Stehen Sie still", sagte er in einem abgehackten Flüstern.
"Ich will Ihnen nicht drohen, aber ..."
"Ich will Ihnen drohen", sagte Father Brown mit einer Stimme wie eine dröhnende Trommel. "Ich will Ihnen drohen mit dem Wurm, der niemals stirbt, und mit dem Feuer, das nie gelöscht wird."

Die "rolling drum" beschwört für den englischen Leser vor allem das "rollende Trommeln" ernster militärischer Veranstaltungen wie der Durchführung einer Kriegsgerichtsverhandlung, einer Exekution usw. herauf; ähnlich mag für den deutschen Leser die "dröhnende Trommel" biblische Verhängnisse nach Art der Posaunen von Jericho, der Posaunen des Jüngsten Gerichts, heraufbeschwören.

All diese stilistischen Eigenarten Chestertons - parallel gebaute Satzglieder, Wortwiederholungen, Stabreime usw. - lassen sich im Deutschen eigentlich mühelos nachvollziehen. Doch scheint es, dass die Lehre vom "schönen Deutsch", die noch bis Ende der 50er Jahre an deutschen Gymnasien und Lyzeen vertreten wurde und die insbesondere gegen Wortwiederholungen zu Felde zog, die im Deutschen durch möglichst abwechselnde Begriffe aufzulösen seien, da Deutsch eben eine besonders reiche Sprache sei, es früheren Übersetzern unmöglich machte, eben diese Eigenarten des Chestertonschen Stils in ihren Übertragungen zu wahren.

Damit wurde dem deutschen Leser jedes Urteil über die spezifische Stil- und Darstellungswelt Chestertons verunmöglicht. Um sie ersichtlich zu lassen, habe ich mich bemüht, so nahe am englischen Originaltext zu bleiben, wie die deutsche Sprache es heute nach der Durchsäuerung mit so vielen ausgezeichneten Übersetzungen aus dem Angelsächsischen nach 1945 ermöglicht, ohne dass ihr dadurch Gewalt angetan wurde. (In diesem Zusammenhang sei auf die herrlich erfrischend schnoddrigen Übersetzungen von Lemmy-Caution-Thrillern des Engländers Peter Cheyney hingewiesen, die nach meiner Erinnerung ab 1949 in der damaligen "Neuen Illustrierten" anonym erschienen und deren Bedeutung für die Entwicklung der Übersetzungstechniken nach 1945 meines Wissens noch nirgendwo gewürdigt wurde, obwohl ihre Spuren bis in die mit Recht gerühmten Neu-Dialoge solcher Fernsehserien wie etwa Die 2 zu verfolgen sind.) Das gilt für die Parallelität ebenso wie für die Stabreime (wenngleich bei diesen nicht immer an der gleichen Stelle möglich), für die ungewöhnlichen Wortkombinationen ebenso wie für die spezifischen Akzentuierungen und Rhythmisierungen durch Wortwiederholungen. Auch im Englischen unüblichen Verfahrensweisen des Autors war im Deutschen durch ebenso unübliche Verfahrensweisen zu folgen.

» Warum der literarische Rang G. K. Chestertons dem
    deutschsprachigen Publikum weitgehend verborgen blieb

 

Autor: Hanswilhelm Haefs

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