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Stellungnahmen des deutschen Klerus und Episkopats

 

7.11.1970: Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln, legt 10 Thesen "Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen" vor, die am deutlichsten die Summe der Argumente für eine Beibehaltung des Amtszölibats beschreiben. Die 10 Thesen lauten im Wesentlichen wie folgt:

I. Gerade in der Welt von heute ist die um des Himmelreiches willen gelebte Ehelosigkeit des Priesters ein eschatologisches Zeichen, das der gläubigen Gemeinde zeigt, wohin sie eigentlich unterwegs ist ...

Mithin ist die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, wenn sie auch nicht "von der Natur des Priestertums notwendig gefordert" wird, doch "in vielfacher Hinsicht dem Priestertum angemessen" (Konzilsdekret "Presbyterorum ordinis", 16). Die priesterliche Ehelosigkeit ist "Ausdruck unserer vollen Verfügbarkeit für das uns total in Anspruch nehmende Amt" (Schreiben der deutschen Bischöfe über das priesterliche Amt vom 11. November 1969, S. 78). Die eigentliche Frage, vor die der Priester in der modernen Gesellschaft gestellt ist, lautet: Ist der unsere ganze Existenz bis zum letzten, bis zum äußersten anfordernde Dienst (vgl. 3 Tim. 4, 5), Vater und Bruder einer Gemeinde zu sein und in ihr das Amt der Versöhnung zu tun, auch heute noch eine lohnende und notwendige Aufgabe? Wer auch nur ein wenig vom Ringen und Suchen des Menschen von heute weiß, wird es nicht wagen, diese Frage mit Nein zu beantworten ...

II. Der Vorwurf, die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen mache den katholischen Priester weltfremd und hindere ihn daran, diese Welt zu heiligen und die irdischen Lebensverhältnissen auf das Ewige auszurichten, ist theologisch falsch und widerspricht den geschichtlichen Tatsachen ...

Im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der "Sozialen Frage", haben sich die katholischen Priester keineswegs auf individuelle Tröstungsversuche, auf bloße "Jenseitsbezogenheit" beschränkt, sondern der Seelsorge den Weg in das moderne soziale Leben geöffnet. In der katholischen Arbeiterbewegung, in der Kolpingsfamilie, im Volksverein, in der Caritasbewegung usw. haben katholische Priester gemeinsam mit den Laien Hervorragendes geleistet.

III. Das II. Vatikanische Konzil hat sich weder gegen die Belange der Kirche noch gegen die Rechte irgendeines Menschen vergangen, als es bestimmte, dass nur jene Männer zu Priestern geweiht werden dürfen, an die ein doppelter Gnadenruf Gottes ergangen ist: der Ruf zum Priestertum und der Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ...

(Konzilsdekret "Optatam totius", Nr. 10. Bei der Schlussabstimmung über das Priesterdekret am 7. Dezember 1965 haben sich die Konzilsväter mit der überwältigenden Mehrheit von 2 390 Ja-Stimmen gegen 4 Nein- Stimmen für die Beibehaltung der priesterlichen Ehelosigkeit in der lateinischen Kirche entschieden* ...)

[* Allerdings war eine Debatte über dieses Thema dem Konzil ausdrücklich vom Papst untersagt worden]

IV. Die "Entkoppelung" von Priesteramt und Zölibat wird auf die Dauer nicht zur Behebung des Priestermangels führen. Die Richtigkeit dieser Aussage wird durch die Verhältnisse in den orthodoxen und evangelischen Kirchen bestätigt. Die vom alexandrinischen Patriarchat herausgegebene Zeitschrift "Pantainos" (Januar 1969) klagt, dass es in der griechisch-orthodoxen Kirche Ägyptens - trotz der Priesterehe - fast keine Berufe mehr gebe ...

Die lutherische Kirche Oldenburgs zählt 583 000 Mitglieder, aber - trotz Heirat - nur etwa 200 Pastoren. Demgegenüber haben die 216 000 Katholiken Oldenburgs - trotz Zölibat - der Kirche 362 Priester geschenkt ...

V. Wie die Berufung zum Priestertum so ist auch die Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine gnadenhafte Erwählung durch Jesus Christus ...

Sowohl die Berufung zum Priestertum als auch die Berufung zur Ehelosigkeit sind nur im Glauben zu begreifen. Beide sind ihrem Wesen nach auf die Gemeinschaft der Kirche bezogen. Es wäre deshalb falsch, das Priestertum als auf die Kirche bezogenes Amt der angeblich rein individuellen Gnadengabe der Ehelosigkeit gegenüberzustellen ...

Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist weder ein geschlechtsfeindlicher Manichäismus noch eine Beschämung der Verheirateten, sondern ein einzigartiger Ausdruck bräutlicher Liebe zu Christus. In der Welt von heute ist auch die Ehe nicht leicht ...

VI. Der Vorwurf, die Kirche zwinge durch die Koppelung von Priestertum und Zölibat jemanden zur Ehelosigkeit, ist eine Verleumdung. Die Kirche fragt die jungen Männer eines Bistums, wer von ihnen davon überzeugt sei, dass ein doppelter Gnadenruf Gottes an ihn ergangen ist: der Ruf zum Priestertum und der Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ...

Der Bischof ist nur dann berechtigt, einem Diakon bei der Priesterweihe die Hände aufzulegen, wenn der Diakon nach ernster und nüchterner Prüfung zu der redlichen Überzeugung gelangt ist, dass der Herr ihm die doppelte Gnadengabe geschenkt hat ...

VII. Weil der Mensch selbstverantwortliche Person ist, ist er der endgültigen, nicht mehr widerruf baren Entscheidung fähig: der endgültigen Entscheidung auf einen anderen Menschen hin in der Ehe, aber auch der endgültigen Entscheidung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, die der heilige Paulus "das Seligere" nennt (1 Kor. 7, 40) ...

Viele Laien ringen mit der Frage, wie die Entscheidung der Priester für die Ehe mit dem einmal gegebenen Treueversprechen zu vereinbaren ist. Viele sagen: Wir Eheleute müssen uns doch auch an unsere Gelöbnisse halten. Ist das Gelöbnis, den Zölibat zu halten, weniger bindend als die Treueversprechen der Verheirateten?

VIII. Die Freiheit der persönlichen Entscheidung darf weder durch Druckausübung zur Übernahme der Ehelosigkeit noch durch Druckausübung gegen die Bereitschaft zur Ehelosigkeit beeinträchtigt werden ...

Um jungen Theologie-Studenten um jeden Preis die Freiheit zu geben, sich nicht an die Ehelosigkeit zu binden, nimmt man ihnen schließlich die Freiheit, sich zur Ehelosigkeit zu bekennen ...

IX. Die "Entkoppelung" von Priesteramt und Zölibat wird zur "Koppelung" von Priesteramt und Ehe führen. Die Erfahrungen der Orthodoxen Kirchen, der Anglikanischen Kirchengemeinschaften, der Kirchen des Lutherischen Weltbundes, der Kirchen des Reformierten Weltbundes, der Altkatholiken, der Methodisten, der Baptisten, der Mennoniten usw. zeigen, dass es nach der "Entkoppelung" in etlichen Jahrzehnten auch in der katholischen Kirche keine ehelosen Bistumspriester mehr geben wird. Der Zölibat wird entweder ganz verschwinden - wie in den meisten getrennten Kirchen - oder sich wie in den Orthodoxen Kirchen in die Klöster zurückziehen. Die Entscheidung zur priesterlichen Ehelosigkeit ist nämlich bei all ihrer Intimität eine Wir-Entscheidung. Wenn 80 % der Theologen eines Priesterseminars ihre Mädchen haben, werden sich auch die restlichen 20 % dem herrschenden Milieu anschließen. Auch wird es auf die Dauer nicht möglich sein, dass es in einem Dekanat, in dem die meisten Priester ihre Frauen haben, noch 2 oder 3 Pfarrhäuser ohne Frau gibt. Hier gilt das soziologische Gesetz des "leichteren Weges" ...

X. Die Zölibatskrise unserer Zeit darf nicht isoliert gesehen werden. Sie hängt innerlich mit der Priesterkrise, der Kirchenkrise und der Glaubenskrise zusammen ...

Wir Bischöfe fragen: Können Männer und Frauen ohne Priesterweihe die Eucharistie feiern? Wird das priesterliche Amt von der Gemeinde übertragen? Ist das Priesteramt ein moderner Sozialberuf? Erschöpft sich die Sendung der Kirche im Kampf gegen gesellschaftliche Unterdrückung? ...

Auch ist es für uns Bischöfe alarmierend, dass sich in manchen Ländern zum Kampf gegen den Zölibat der Kampf gegen die Unauflöslichkeit der Ehe gesellt ...

9./10.11.1970: Der Osservatore Romano veröffentlicht ein vom 4. November l969 datiertes, dem Inhalt nach aber noch älteres Zirkularschreiben des Präfekten der Kleruskongregation mit der Aufforderung, es solle jeder Priester Gründonnerstag jeden Jahres seinem Bischof das Zölibats- und Gehorsamsgelübde ablegen.

14.11.1970: Die "Arbeitsgemeinschaft von Priestergruppen in der BRD", die repräsentativste Gruppe sogenannter progressiver Geistlicher, richtet ein Schreiben an die bevorstehende Deutsche Bischofskonferenz, in dem es u. a. heißt:

Statt sich mit aller Kraft der Verkündigung des Evangeliums in den Gemeinden und dem Dienst für Frieden und Gerechtigkeit zu widmen, streitet unsere Kirche um ein Disziplinargesetz. Der Papst gibt dem innerkirchlichen Gespräch zu wenig Raum und setzt durch sein Verhalten gegenüber der niederländischen Kirche um eines menschlichen Gesetzes willen die kirchliche Einheit aufs Spiel. Auch deutsche Bischöfe haben sich in der Auseinandersetzung um das Zölibatsgesetz bereits festgelegt (vgl. vorstehend die Thesen Höffners), ohne dass sie vorher mit den Gemeinden und ihren Seelsorgern gesprochen hätten. In dieser Situation möchten wir Ihnen mitteilen: Die Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und Gläubigen in den Niederlanden und ihr gemeinsames Suchen nach dem richtigen Weg erscheinen uns beispielhaft. Gegenüber Versuchen, die katholische Kirche der Niederlande zu verleumden und zu isolieren, erklären wir uns mit ihr und ihrem Pastoralkonzil solidarisch ...

Mit dem Aufruf der 84 Theologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz halten wir die Einheit der Kirche für ein größeres Gut als die Wahrung eines Disziplinargesetzes. Durch das Vorgehen der 16 nordrhein-westfälischen Bischöfe und die Erklärung von Kardinal Bengsch wird der Dialog verweigert, die Mitverantwortung der Gläubigen missachtet und die Einheit gefährdet. Die Ehelosigkeit von Priestern wird immer sinnvoll bleiben und an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft gewinnen, wenn sie in Freiheit gewählt und nicht gesetzlich an das Priesteramt gebunden ist ...

Die jüngst angeregte jährliche Erneuerung des Zölibats- und Gehorsamsversprechens lehnen wir ab und werden sie gegebenenfalls verweigern ...

In der Sorge um die Kirche erwarten wir von Ihnen, verehrte Bischöfe: Machen Sie den Papst und seine Berater auf die Folgen aufmerksam, die sein derzeitiges Verhalten für die Einheit und den Glauben der Kirche hat. Setzen Sie sich dafür ein, dass die nächste Bischofssynode, erweitert durch gewählte Vertreter der Priesterschaft, die Frage des kirchlichen Amtes und des Zölibatsgesetzes offen diskutiert. Nehmen Sie selbst noch dieses Frühjahr auf einer gemeinsamen Konferenz das Gespräch mit den niederländischen Bischöfen auf ...

18.11.1970: Die Vollversammlung der deutschen Bischöfe, die vom 16. bis 19. in Essen tagte, gibt eine Erklärung zu der durch Höffners Thesen verschärften Diskussion ab, die 3 Punkte betont:

  1. Die Bischöfe wollen unmissverständlich an der bisherigen Regelung (am Institut des Zölibats als ganzem) festhalten, ohne allerdings langfristige Entwicklungen ausdrücklich auszuschließen;
  2. sie anerkennen die Dringlichkeit eines Gesprächs über die Sachprobleme im Episkopat und mit dem Papst auf der einen und mit den Priestern auf der anderen Seite (verstehen aber diese Gespräche als "Vertiefung" der Sinngebung des Zölibats);
  3. sie folgen nicht dem römischen Wunsch nach Erneuerung des Zölibats- und Gehorsamsversprechens am Gründonnerstag (man sah darin ein nicht opportunes Zeichen einer weiteren Dramatisierung des Problems).

Sie stellen u. a. fest:

Die Kirche, die als pilgernde Gemeinschaft dem kommenden Reich Gottes entgegengeht, ist immer wieder - wie die Geschichte zeigt - versucht, zur weltlichen Größe zu werden und sich im Zeitlichen einzurichten. Die Bereitschaft der Priester, in der Ehelosigkeit einen schwerwiegenden persönlichen Verzicht zu leisten, ist Zeugnis für Christus, Zeichen der Hoffnung auf das Kommende und damit Dienst für die Kirche und die Welt. Diesen Dienst leisten die Priester aber nur, wenn sie ihr Jawort zum Priestertum in der Lebensform des Zölibats mit dem gleichen sittlichen Ernst geben wie die Brautleute ihr bindendes Jawort am Traualtar. Die Tatsache, dass die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ein Gnadengeschenk Gottes ist, verbietet es nicht, sie zu einem Auswahlprinzip für den priesterlichen Dienst zu machen. Es handelt sich hier um eine Lebensform, die gerade in der Gemeinsamkeit aller Priester ihre Bedeutung für die Kirche erlangt und die darum vom ganzen Gottesvolk im Geist des Evangeliums mitgetragen werden muss. Wegen dieses Zeugnischarakters für Christus hält die Deutsche Bischofskonferenz an der Verbindung des Priesteramtes mit der Ehelosigkeit fest ...

Wir sind daher entschlossen, auch in Zukunft die Priester aus den Reihen derer zu berufen, die die Gnadengabe der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ergreift. Wir werden Priester, die von ihren Verpflichtungen entbunden worden sind, nicht wieder zum priesterlichen Dienst zulassen. Wir verkennen dabei nicht, dass in der Zukunft ernste pastorale Schwierigkeiten entstehen können. Wir werden gemeinsam mit Priestern und Laien nach Wegen suchen, die der Sicherung einer geordneten Seelsorge dienen können. Die Möglichkeiten des kirchlichen Einsatzes katholischer Laien und der Weihe verheirateter Männer zu Diakonen werden dabei besondere Beachtung finden. Auch das Gespräch mit dem Hl. Vater und mit den Episkopaten anderer Länder werden wir aufnehmen, um uns an den Überlegungen der Gesamtkirche zur Behebung besonderer seelsorgerischer Notstände zu beteiligen ...

Summe: Die ganze Geschichte des Zölibats und seiner Entwicklung in der Kirchenlehre von praktischen Problemen wirtschaftlicher und erbrechtlicher Art zu höchst "sinnstiftenden" Thesen über die hohe Wertigkeit eben dieses Zölibats macht überaus deutlich, wie sehr das Wesen der Kirche von weltlichen Vorgängen und Zusammenhängen geprägt worden ist, als sie sich mit solchen Fragen auseinandersetzen musste. Wie bedeutsam der Kirche und ihren Anhängern nun aber immer solche Disziplinarfragen erscheinen mögen: Sie sind durch keine einzige Stelle im Neuen Testament begründet, und können nur indirekt und auf entsprechenden Ausdeutungen anderer Stellen mit ihm ins Benehmen gesetzt werden.

» Die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe bzw.
    die Frage der Scheidung

 

Autor: Hanswilhelm Haefs

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